Vererbung. Die Tatsache, daß Rassen- und persönliche Merkmale
der Eltern und Voreltern bei den Nachkommen wiederkehren, ferner das
Zustandekommen
dieser Erscheinung bezeichnet man als V. Bekannt ist die V. körperlicher
Merkmale, wie Größe, Statur, Augen- oder Haarfarbe, selbst unbedeutender
Einzelheiten, wie der Muttermale; ein beliebtes Beispiel der V. bildet der
durch 6 Jahrhunderte verfolgbare Habsburger Familientypus, der eine stark
entwickelte Unterlippe bei vorstehendem Kinn u.a. zeigt. Auch Anomalien
wie der Albinismus (s.d.), die Farbenblindheit, die
Bluterkrankheit
unterliegender V. Schließlich sind zahlreiche Beispiele für die V.
geistiger
Eigenschaften und Anlagen bekannt, wie sie die Musikerfamilie Bach, die
Naturforscherfamilie Darwin u.a. darstellen, oder Besonderheiten des
Charakters,
des. Temperaments usw., die der Historiker verfolgt. Die Forschung hat die
Frage der V. von verschiedenen Seiten her angefaßt; die eine stellt das
Studium der materiellen Grundlagen dar. Als solche erscheinen die
Geschlechtszellen,
die wie andere Zellen aus Zelleib und Zellkern bestehen und unter
verschiedenen
Veränderungen Reifungsprozesse durchlaufen, die das mütterliche Ei und die
väterliche Samenzelle ergeben. Bei der Befruchtung dringt der Kern der
Samenzelle
in das Ei ein und verbindet sich mit dessen Kern. Da nun der aus dem Ei
entstehende kindliche Organismus auch väterliche Eigenschaften besitzt,
so können sie nur durch den Samenkern in das Ei übertragen worden sein.
Es liegt nun nahe, den Eltern als Träger der mütterlichen Eigenschaften
anzusehen und die Bedeutung der Befruchtung in der Mischung der
väterlichen
und mütterlichen Merkmale zu suchen. Wenn auch über eine Anzahl von
Einzelheiten
des Vorganges nichts Sicheres bekannt ist, so bietet diese Beobachtung
doch
die Grundlage für das Verständnis der Tatsache, daß die Eigenschaften der
Art und der Rasse von den Eltern auf die Kinder, Enkel usw. übergehen.
Anders
steht es mit der Vererbung von Eigenschaften, die individuell erworben
sind,
und die große Wichtigkeit dieser Frage für den Pflanzen- oder Tierzüchter
hat eine sehr umfangreiche experimentelle Forschung hervorgerufen. Die
Ergebnisse
der einzelnen Arbeiten haben jedoch allgemein anerkannte Deutungen nicht
gefunden. Zunächst liegt keine V. erworbener Eigenschaften vor, wenn Infektionskrankheiten bei Eltern und
Kindern auftreten, die auf pränataler Infektion des Kindes beruhen; findet
die Erkrankung des Kindes nach der Geburt statt, so kann es zwar die
Disposition
zur Erkrankung, nicht aber die Krankheit selbst ererbt haben. Wohl aber
handelt es sich um V. erworbener Eigenschaften überall da, wo eine auf der
Wirkung der Umwelt (s.d.) beruhende Modifikation der elterlichen
Organismen auf die Kinder übertragen wurde. Hier tritt die V. nur ein,
wenn
die Wirkung der Umwelt nicht nur den Körper, sondern vor allem auch die
Geschlechtszellen betroffen hat. Erkrankt der Trinker an Katarrhen,
Leberzirrhose,
Delirium, so zeigen sich die Wirkungen in seinen Nachkommen in allgemeiner
Schwäche, geringem Widerstand gegen Krankheiten und der Neigung zu Psychosen.
Besonders wichtige Einblicke in die Art, wie die V. erfolgt, ergeben sich
aus den Mendelschen Regeln
(s.d.)
und der darauf weiterbauenden Erforschung der Bastarde (s. Mischlinge).
Sie zeigt, daß durch die Kombination von Merkmalen neue Formen erscheinen,
ohne daß etwas wirklich Neues entsteht. - Die bisherigen Forschungen
würden
die Behauptung, daß die Nachkommen der nach Nordamerika, Südafrika usw.
ausgewanderten Europäer andere und neue äußere Merkmale gegenüber den in
Europa verbliebenen aufzuweisen haben, verständlich machen und
entsprechende
Änderungen auch in anderen Gebieten erwarten lassen. Allein sie reichen
nicht aus, um etwa eine Voraussage über die Akklimatisation
(s.d.) der weißen Rassen in den Tropen zu
gestatten.
Literatur: V. Häcker, Allgem. Vererbungslehre,
Braunschw. 1912. - C. Kronacher, Grundzüge
der Züchtungsbiologie, Berl. 1912.