Landesrat. 1. Begriff. 2. Geschichte. 3. Verfassung, Zuständigkeit,
Geschäftsführung.
1. Begriff. Der L. ist ein zur Unterstützung des Gouverneurs von Deutsch-Südwestafrika bei der
Wahrnehmung der Interessen des Schutzgebiets errichtetes Organ der allgemeinen
Landesverwaltung. Er ist kein Selbstverwaltungsorgan, sondern ein
Landesverwaltungsbeirat, dessen Verfassung die ersten Ansätze einer
gesetzgebenden Körperschaft zeigt.
2. Geschichte. Die Geschichte des L. geht auf den durch die GouvV. vom
18.
Dez. 1899 errichteten, aus einem Kaufmann, Farmer und Handwerker
zusammengesetzten
Bezirksbeirat von Windhuk zurück, den der Gouverneur nach Einberufung dreier weiterer
Mitglieder
als Gouvernementsrat (s.d.)
zur Beratung wichtiger Landesangelegenheiten
heranzog. Dem Mißstande, daß nur Windhuker Bürger über Angelegenheiten
des ganzen Schutzgebietes berieten, half die in Anlehnung an ähnliche
Einrichtungen der englischen Kronkolonien erlassene V. des RK. vom 24.
Dez. 1903, betr. die Bildung von Gouvernementsräten (KolBl. 1904 S. 1),
ab, auf Grund deren der Gouverneur neben amtlichen elf außeramtliche
Mitglieder
aus allen Bezirken auf gutachtlichen Vorschlag ihrer wirtschaftlich
selbständigen
Berufsstände für 2 Jahre in einen neuen Gouvernementsrat berief. Dieser
war eine rein beratende Körperschaft, der Angelegenheiten von
Wichtigkeit
oder nach dem Ermessen des Gouverneurs zur Beratung vorzulegen waren.
Die Sitzungen waren nicht öffentlich. Die Bevölkerung erwartete indessen
schon nach der ersten Periode eine Weiterbildung, daß der
Gouvernementsrat
sich aus gewählten Vertretern zusammensetze, öffentlich berate und in
wesentlichen Dingen ein Beschlußfassungsrecht erhalte. Diese Erwartungen
wurden zum Teil durch die §§ 105 ff. der V. des RK., betreffend die Selbstverwaltung in Deutsch-Südwestafrika,
vom 28. Jan. 1909 (KolBl. S. 141) und die V. des RK., betreffend die
Erweiterung
der. Befugnisse des L. von DeutschSüdwestafrika, vom 26. Juni 1913
(KolBl.
S. 572) erfüllt.
3. Verfassung, Zuständigkeit, Geschäftsführung. In den L. wählt jeder
Bezirksrat in ordentlicher Sitzung je ein L.mitglied als Vertreter der
wirtschaftlichen Eigenart des Bezirks. Zum Ausgleich wirtschaftlicher
Interessengegensätze und zur Heranziehung von Sachverständigen hat der
Gouverneur das Recht, neben den Gewählten die gleiche Anzahl von Mitgliedern
nach freiem Ermessen zu ernennen. Anders wie beim Gouvernementsrat ist zum L.
jeder Deutsche wählbar, der, mindestens 30 Jahre alt, wenigstens 2 Jahre im
Schutzgebiet als Grundeigentümer oder selbständiger Gewerbetreibender angesessen
ist. Nicht wählbar sind dieselben Personen, die auch von der Wahl zum
Gemeinderat (s. Selbstverwaltung)
ausgeschlossen sind (§ 17 der SVO.). Die
Mitgliedschaft ist ehrenamtlich und dauert 5 Jahre. Bei vorzeitigem Ausscheiden
hat eine Ersatzwahl oder Neuernennung zu erfolgen. Die Mitglieder werden bei
ihrer ersten Einführung durch den Gouverneur mittels Handschlags an Eidesstatt
verpflichtet (§ 10 GouvV. vom 10. Nov. 1909, KolBl. 1910 S. 45). -Der L. ist
befugt, dem Gouverneur eigene Anträge (Initiativanträge) zu unterbreiten. In der
Hauptsache ist er ein ihn beratendes Organ, und zwar für die jährlichen
Vorschläge zum Landeshaushaltsplan, für die Gouvernementsverordnungen von nicht
bloß örtlicher Bedeutung und für alle sonstigen ihm vom Gouverneur zur Beratung
vorgelegten Angelegenheiten. Beschließendes Organ ist er dagegen in allen seiner
Beschlußfassung vom RK. überwiesenen Angelegenheiten. Das sind zurzeit nach der
V. des RK. vom 26. Juni 1913 Gouvernementsverordnungen, die sich auf die
Bekämpfung von Seuchen, das Wege-, Wasser- und
Jagdrecht, die Land- und Forstwirtschaft und
Viehzucht, sowie auf die Anwerbung und die
Dienst- und Arbeitsverhältnisse der Eingeborenen beziehen. Diese Verordnungen bedürfen vor ihrer
Veröffentlichung des zustimmenden, im Falle der Not des nachträglich
genehmigenden Beschlusses des L., für den die einfache Stimmenmehrheit genügt,
sofern mindestens die Hälfte der Mitglieder anwesend ist. - Der L. tagt
mindestens einmal im Jahre unter Vorsitz des Gouverneurs oder eines von ihm
ernannten Beamten. Er regelt seine Geschäftsführung durch eine Geschäftsordnung.
Er kann, unbeschadet der grundsätzlichen Geheimhaltungspflicht seiner
Mitglieder, Öffentlichkeit seiner Verhandlungen beschließen, über die ein
Protokoll zu führen ist.
Literatur: Külz, Die Selbstverwaltung für
Deutsch-Südwestafrika. Berl. 1909, S. 12 ff, 50 ff. - Ders., Der
Landesrat
für das deutsch-südwestafrikanische Schutzgebiet und seine
Weiterbildung,
Zeitschr. f. Kol.Recht. 1913, S. 193 ff. - Rheinen, Die Selbstverwaltung
der Gemeinden in Deutsch-Südwestafrika. Berl. 1912, S. 29 ff, 36
ff.
R. Fischer. |