Gerichtsstand, die Unterwerfung der einzelnen Person bzw. Rechtssache
unter ein bestimmtes örtlich zuständiges Gericht. Geregelt ist der
Gerichtsstand
in der Zivilprozeßordnung (§§ 12 - 37) und in der Strafprozeßordnung (§§
12 - 21). Außerdem kommen eine Reihe von Vorschriften des Reichs- und
preuß. Gesetzes über die Freiwillige
Gerichtsbarkeit (auch HGB. und BGB.) in
Betracht,
welche die örtliche Zuständigkeit der Gerichte für die einzelnen in
diesen
Gesetzen geregelten Angelegenheiten betreffen. Gemäß §§ 3 SchGG., 19
KonsGG.
haben die erwähnten Vorschriften auch in den Schutzgebieten Geltung. Im
Zivilprozeß wird zwischen dem
allgemeinen
und dem besonderen G. unterschieden. Im allgemeinen G. können nach § 12
ZPO. alle Klagen gegen eine Person anhängig gemacht werden, für die
nicht
ein ausschließlicher Gerichtsstand begründet ist. (Maßgebend ist mithin
der allgemeine Gerichtsstand des Beklagten, nicht des Klägers.) Der
allgemeine
G. wird durch den Wohnsitz, unter
Umständen
auch den Aufenthaltsort, für Gemeinden, Korporationen
und sonstige juristische Personen (Gesellschaften, Vereine, Stiftungen, Anstalten) durch ihren Sitz
bestimmt.
(Näheres §§ 14 - 19 ZPO.) Besondere G. sind solche, welche für bestimmte
Arten von Klagen begründet sind, so der - G. des Berufsaufenthaltes, der
gewerblichen Niederlassung, des Verwaltungssitzes, des Vermögens, der
Belegenheit eines Grundstücks, der Erbschaft, des Erfüllungsorts, des
Meß- und Marktorts, der unerlaubten, Handlung, des Zusammenhanges (§§
20 - 34 ZPO.). Unter mehreren zuständigen Gerichten hat der Kläger die
Wahl. Ein solches Wahlrecht besteht nicht, wenn ein ausschließlicher G.
begründet ist. So ist für Eigentums-, Besitz- und ähnliche Klagen,
sofern
es sieh um unbewegliche Sachen handelt, ausschließlich das Gericht
zuständig,
in dessen Bezirk die Sache belegen ist (dinglicher G., § 24 ZPO.). Bei
Verhinderung eines an sich zuständigen Gerichts, Ungewißheit über die
Zuständigkeit oder in ähnlichen Fällen wird das zuständige Gericht durch
das zunächst höhere Gericht (Obergericht) bestimmt. Auch durch
Vereinbarung
der Parteien kann für vermögensrechtliche Ansprüche, wenn für die Klage
kein ausschließlicher G. gegeben ist, ein G. begründet werden, indem ein
an sich unzuständiges Gericht erster Instanz für zuständig erklärt wird
(Prorogation, §§ 38 - 40 ZPO.). Im Strafprozeß ist ein G. sowohl bei dem
Gericht begründet, in, dessen Bezirk die strafbare Handlung begangen ist
(bei strafbarem Inhalt einer Druckschrift das Gericht, in dessen Bezirk
diese erschienen ist; wegen der Ausnahme für Privatklagesachen § 7 Abs.
2 StPO.), als auch bei dem Gericht, in dessen Bezirk der Angeschuldigte
zur Zeit der Klageerhebung seinen Wohnsitz (in Ermangelung eines solchen
seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort) hat (Näheres § 8 StPO.). Ist keiner
dieser G. begründet, so ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die
Ergreifung erfolgt. Ist die strafbare Handlung auf einem deutschen
Schiffe
im Ausland oder auf offener See begangen, so ist dasjenige Gericht
zuständig,
in dessen Bezirk der Heimatshafen
oder der Hafen liegt,. welchen das Schiff nach der Tat zuerst
erreicht. Bei gleichzeitiger Zuständigkeit mehrerer Gerichte gebührt dem
Gericht, das zuerst die Untersuchung eröffnet hat, der Vorzug. Bei
Verhinderung
des an sich zuständigen Gerichts und dergleichen wird auch in
Strafsachen
das zuständige Gericht vom Obergericht bestimmt. - Neben den allgemeinen
Vorschriften der ZPO. und StPO. kommen für den G. der Kolonialbeamten
noch eine Reihe besonderer, im KolBG. (§§ 7 - 9) enthaltener
Vorschriften
in Betracht. Sie haben in Ansehung ihres G. ihren Wohnsitz in dem
Schutzgebiet,
in dem sie angestellt sind. Für Klagen wegen solcher
vermögensrechtlicher
Ansprüche, die gegen sie während ihres Aufenthalts in der Heimat
entstanden
sind, sind jedoch auch die Gerichte des Wohnsitzes in der Heimat
(Näheres
§ 8 KolBG.) zuständig. Für Gouverneure und richterliche Beamte
gilt das Gleiche hinsichtlich aller bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten.
Ist gegen einen Kolonialbeamten bei einem Schutzgebietsgericht ein Strafverfahren
anhängig geworden, und nimmt er seinen dauernden Aufenthalt im
Reichsgebiet,
oder ist gegen einen Kolonialbeamten, der seinen dauernden Aufenthalt
in einem Schutzgebiet hat, im Reichs- oder einem anderen Schutzgebieten
Strafverfahren anhängig geworden, so kann das mit der Sache, befaßte
Gericht
auf Antrag oder von Amts wegen die Sache an das zuständige Gericht
verweisen,
zu dessen Bezirk der neue Aufenthaltsort gehört. Zu bemerken ist hierbei
noch, daß für Rechtsstreitigkeiten über Vermögensansprüche gegen einen
Kolonialbeamten wegen Verletzung der Amtspflicht sowohl das Gericht
zuständig
ist, in dessen Bezirk er zur Zeit der Klageerhebung, als auch dasjenige,
in dessen Bezirk er zur Zeit der Pflichtverletzung seinen Wohnsitz hatte
(§§ 154 ReichsBG., 1 KolBG.). - Für Eingeborene und ihnen gleichgestellte Farbige gelten mangels dahingehender Bestimmungen
die erwähnten Vorschriften nicht (§ 4 SchGG.). Sie haben einen eigenen
G. nach Maßgabe der für sie erlassenen besonderen Vorschriften, und zwar
regelmäßig vor den mit der Eingeborenenrechtspflege betrauten Beamten
der allgemeinen Verwaltung, zum Teil auch vor ihren Häuptlingen
oder besonderen Eingeborenengerichten. Nach jenen Vorschriften regelt
sich auch im einzelnen die örtliche Zuständigkeit der Organe der
Eingeborenenrechtspflege.
Soweit ihnen jedoch, wie dies größtenteils der Fall ist, eine solche
Regelung
nicht zu entnehmen ist, werden in der Praxis die Vorschriften der ZPO.
und StPO. entsprechend angewendet. In Fällender sog. gemischten
Gerichtsbarkeit,
wo Weiße und Farbige in einer Rechtssache zugleich beteiligt sind,
entscheidet
in Ermangelung besonderer Vorschriften der G. des Beklagten bzw.
Angeklagten,
ob die Sache vor dem örtlich zuständigen Gericht für Weiße oder dem
Eingeborenengericht
zu verhandeln ist. Vgl. hierzu für Deutsch-Südwestafrika § 3 der Vf.
des RK. vom 23.
Juli 1903 (KolBl. S. 383, KolGG. S. 163), für Samoa §3 der GouvV. vom 1. März 1900 (KolBl. S. 312)
in Verbindung mit Art. 8 Abschn. 9 der Samoaakte (KolGG. Bd. 1 S.656).
Für Kiautschou ist bestimmt, daß, wenn Chinesen
und Nichtchinesen an einer Strafsache gemeinschaftlich beteiligt oder
zugleich in einen bürgerlichen Rechtsstreit verwickelt sind, das Gericht
der Nichtchinesen auch für die Verhandlung und Entscheidung gegen
Chinesen
zuständig ist (GouvV. vom 15. April 1899, MarVBl. S. XXV, KolGG. Bd. 4
S. 191). S. auch Gemischte Gerichtsbarkeit. - Wegen des besonderen G.
der Militärpersonen in Strafsachen, dem in gewissen Fällen auch Personen
des Beurlaubtenstandes unterworfen sind, s. Militärstrafgerichtsbarkeit.
Gerstmeyer.
|